TEAMBRENNER Lichtblicke – Interview Oliver Viehweg
Verrückte Zeiten & die Welt steht Kopf. Wie sie diese Herausforderung bewältigen, welche ungewöhnlichen Wege sie gehen, was sich für sie persönlich verändert & was sie sich für die Zukunft wünschen – das haben wir zuversichtliche Menschen gefragt, die mit TEAMBRENNER eng verbunden sind. Heute mit Oliver Viehweg, Modedesigner aus Leipzig.
Stell dich bitte vor: Wer bist du? Für welches Unternehmen und in welcher Funktion arbeitest du?
Mein Name ist Oliver Viehweg und ich bin Maßschneider und Modedesigner aus Leipzig. In diesen Funktionen führe ich unter anderem mein eigenes Label FLUID und bin seit zehn Jahren als Dozent an der Werkakademie Leipzig tätig und bilde dort angehende Maßschneider*innen im Handwerk aus.Was verbindet dich mit TEAMBRENNER & wo hattest du schon mit ECHTENBRENNERN zu tun?
Als mehrmaliger Finalist und Gewinner beim Fashion Award des Leipziger Opernballs hatte ich bereits mehrfach das Vergnügen, ECHTEBRENNER bei ihrer Arbeit zu erleben.Stell dir vor, Corona wäre tatsächlich nur eine mexikanische Biermarke, was würdest du dann in dieser Zeit des Jahres regulär tun? Woran würdest du arbeiten, welche Aufgaben & Einsätze lägen derzeit auf deinem Tisch?
Als Freiberufler in der Kreativbranche gehören unvorhergesehene Ereignisse und die dazugehörige Flexibilität zu meinem Alltag. So waren auch die letzten Jahre immer wieder besonders und vor allem auch unterschiedlich und vielseitig. Neben dem Entwerfen eigener Kollektionen, den Anfertigungen für Kunden*innen und dem Unterrichten erreichen mich immer wieder Projekte rund um das Thema Bekleidung und Mode, die mich aus meiner Komfortzone herauslocken und meinen beruflichen Alltag bereichern. Dazu gehören z. B. Arbeiten als Kostümbildner, die mich regelmäßig an meine Wurzeln an der Leipziger Oper zurückerinnern lassen, die kontinuierliche Arbeit mit Kindern und Jugendlichen als Werkstattleiter am Theatrium Leipzig, Workshops und Corporate Fashion-Projekte mit Firmen und Institutionen aus ganz unterschiedlichen Branchen wie auch Anfragen als Stylist für Privatpersonen bis hin zu Film- und Fotoproduktionen.Diese Vielseitigkeit setzt ein schnelles Reagieren und Anpassen voraus. Da zur Zeit der Handel größtenteils geschlossen ist, liegt mein Fokus beispielsweise gerade weniger auf der Produktion für meine Mode-Kollektionen, sondern auf der Interaktion im Bereich der Lehre, da hier großer Bedarf ist, Inhalte anzupassen und neu aufzubereiten, sodass sie auch komplett digital gehalten werden können.
Spontanität ist also meine stetige Begleiterin, die mir hilft, auf neue Situationen und Projekte unmittelbar zu reagieren und es fällt mir dadurch nicht schwer, Ungewöhnliches mit einzubeziehen. Ich bin Kernoptimist mit einem gesunden Hang zur Realität und nutze gesammelte Erfahrungen der letzten Jahre, um mich auf diese neuen Umstände einzustellen. Ich vertraue auf mein Können, bleibe flexibel und sehe dabei auch Chancen, in dieser Krise neue Wege zu gehen. Quasi ganz nach dem Motto: Denn es nützt ja nichts stehenzubleiben, also heiter weiter.
Was hat dich in den vergangenen Wochen & Monaten besonders gefordert, was vermisst du in deinem Alltag? Was hat sich an deiner Art zu arbeiten am spürbarsten verändert und welche dieser Veränderungen lohnen es, mit in die Zukunft übernommen zu werden?
Besonders fehlt mir der persönliche Kontakt zu meinen Kunden*innen. Ich vermisse das Sich-neu-Kennenlernen, aber auch den Kontakt zu bestehenden Kunden*innen. Eine Maßanfertigung ist persönlich und intim. In einem direkten Gegenüber wird die Kleidung konzipiert und auf den individuellen Körper zugeschnitten. Ich schätze es, mit meinen Händen Garderobe zu entwerfen und zu fertigen und damit andere Menschen glücklich zu machen. Vor allem bei so besonderen Anlässen wie einer Hochzeit ist dies besonders spürbar.
Vom ersten Gespräch, über die Anproben bis hin zur Lieferung begleite ich meine Kunden*innen über eine ganze Zeit und stehe ihnen zur Seite. Es ist schön, auch ein Teil dieser emotionalen Reise zu sein und meinen Erfolg erkenne ich daran, wie glücklich und erfüllt sich die Kunden*innen mit ihrem neuen Kleidungsstück selbst im Spiegel betrachten. Es sind diese gemeinsamen Momente, die ich durch meine Arbeit kreieren kann und die mir seit letztem Jahr immer mehr fehlen. Ich würde mich sehr freuen, wenn ich dies bald alles wieder mit meinen Kunden*innen erleben könnte.
Für mich haben die letzten Monate noch deutlicher gemacht, wie wichtig es ist, sich auf seine Stärken zu konzentrieren und ich habe die Zeit genutzt, die einzelnen Bereiche meiner Arbeit neu zu strukturieren. So werde ich beispielsweise zukünftig meine Ressourcen noch besser nutzen, da nicht immer alle Materialien oder Zutaten in kurzer Zeit zur Verfügung stehen und ich noch bewusster auf lange Transportwege der Materialen verzichten möchte.
Die Regionalität ist ein Baustein zur Nachhaltigkeit und ich stelle fest, dass viele meiner Kunden*innen dies mittlerweile auch sehr zu schätzen wissen und meine Arbeit genau aus diesem Grund in Anspruch nehmen.
Wir haben in den letzten Monaten feststellen müssen, dass nicht alles überall und zu jeder Zeit verfügbar ist und dass wir plötzlich viel mehr Zeit zuhause und mit uns selbst verbringen. Das stärkt z.B. auch den Blick und das Wahrnehmen der eigenen Interessen und Handlungen, den Wunsch nach Individualität. Wir schätzen uns selbst wieder ein großes Stück mehr und entdecken dies als neue Qualität an uns selbst.
Für Mode bedeutet dies, dass wegen fehlender Events und Veranstaltungen unsere „Fashion-Momente“ mehr Platz in unserem Alltag und auf der Straße finden. Es ist vielleicht der richtige Moment, sich nicht von „Fast Fashion-Trends“ bestimmen zu lassen, sondern sich auf etwas Längerfristiges, Qualitätsvolles wie eine individuelle Maßanfertigung einzulassen.
Was glaubst du generell: Wie wird sich unsere Arbeitswelt, beeinflusst durch diese besonderen wirtschaftlichen & gesellschaftlichen Herausforderungen, künftig wandeln, welche Chancen und neuen Möglichkeiten erwartest du?
Für mich ist der Stellenwert für sinnvolle, digitale Angebote im Bereich der Lehre und der sozialpädagogischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen stark gestiegen. In diesem Bereich habe ich neue Kompetenzen erworben und weiß diese auch sehr zu schätzen. So ist es mir möglich, neue Angebote für Institutionen oder Firmen in Form von Tutorials, Online-Workshops oder Vorträgen wie auch theoretisch-praktische Unterweisungen im Zuge der Lehre zu schaffen und anzubieten. Durch wegfallende Fahrzeiten zu den einzelnen Standorten bleibt zudem oftmals mehr Zeit für eine intensivere und fokussierte Ausarbeitung der Inhalte. Das Erstellen dieser Angebote wird nun langfristig zu meinem beruflichen Alltag dazugehören und ich versuche Kollegen*innen dabei zu unterstützen, Berührungsängste im digitalen Arbeiten abzubauen. Die damit verbundene Chance, Grenzen zu überwinden (z.B. auch international tätig zu sein) und trotzdem gleichzeitig auch für die Menschen in der Region da zu sein, empfinde ich als sehr positiv.
Wenn wir das alle gemeinsam überstanden haben: Welche gesellschaftlichen Schlussfolgerungen sollten wir deiner Meinung ziehen, was sollten wir künftig miteinander besser machen?
Achtsamkeit und Wertschätzung aber auch Toleranz und Respekt füreinander sind meine Grundpfeiler der Gesellschaft. Es ist wichtiger denn je, diese Werte nicht nur im Privaten zu pflegen, sondern diese auch ganz offensiv in unserem beruflichen Alltag zu leben und dafür einzustehen.
Mit der Gründung meines Labels FLUID, einer gender-neutralen Bekleidungslinie, bin ich 2018 diesen Weg gegangen. FLUID steht für eine freie Mode, inklusiv, nachhaltig und zeitlos.
Mir liegt es sehr am Herzen, mich für Gleichberechtigung, Inklusivität und Toleranz einzusetzen. Und wir alle sollten uns spätestens in Zeiten einer Pandemie vor Augen führen, dass wir alle im selben Boot sitzen und wir uns gegenseitig helfen und unterstützen müssen.
Fotos: ©Anne-K. Hutschenreuter
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